Walter Lechner lernte ich vor 17 Jahren im Fahrerlager von Hockenheim kennen. Ich hatte bei Zakspeed gekündigt und brauchte einen neuen Job. Sein Sohn Robert sagte mir, ich solle ihn doch mal treffen. Also stellte ich mich ihm im Fahrerlager vor. Er fragte nur, wann ich anfangen könne. Es gab nichts Schriftliches. Meinte er das ernst? Wir kannten uns fünf Minuten. Er hatte nicht ein Zeugnis von mir sehen wollen, gar nichts. Zwei Monate später fuhr ich nach Salzburg, wohnte in seinem Schiff von amerikanischem Wohnmobil vor dem geranienbehangenen alpenländlichem Haus von Christina und ihm in der Faistenau. Es stellte sich heraus, dass „in der Faistenau“ nicht wie „in der Heide“ oder „in der Uckermark“ eine Region ist, sondern lediglich ein kleines Alpendorf 25 km von Salzburg entfernt. Fortan ging ich jeden Morgen also die zehn Meter vom Wohnmobil bis in die Küche der Lechners. So lernte ich das rennfahrende Familienunternehmen kennen. Robert und Walter jun. standen ebenfalls in der Küche. Schließlich wohnte Walter jun. nur „die Stroßen nunter“ und Robert war auch um die Ecke.
Als Walter‘s Teammanager fuhr ich fortan zu jedem Testtag oder Rennen mit ihm in Zweisamkeit im Auto. Porsche Salzburg stellte ihm damals einen Boxster zur Verfügung und so trafen wir uns gerne um 5:30 Uhr an der Autobahnabfahrt Thalgau. Von dort ging es entweder nach Melk (für seine Walter Lechner Racing School, gesprochen Woida Lechner Racing Schui) oder zum Beispiel nach Monza (für Testfahrten, Rennen, FIA GT, Supercup, ständig halt).
Ich durfte auf dem Beifahrersitz seinen Geschichten lauschen. Von seinem Tauchgang in der Südsee im Pazifik. Von einem Atoll mit einem kleinen Boot und vier weiteren ihm unbekannten Abenteuertauchwütigen. Die Unterwasserwelt dort wäre so atemberaubend. Als er auftauchte, sah er das Boot nur noch als kleinen Punkt. Alleine im Pazifik. Absolut nichts weit und breit. Sein Glück war, dass ein Amerikaner sich an ihn erinnerte. Wahrscheinlich hatte er ihn auch beeindruckt. Der Amerikaner bearbeitete den „Bootskapitän“ jedenfalls so lange, bis dieser doch noch mal zur Tauchstelle hinausfuhr. Nach ein paar einsamen Stunden im Pazifik war Walter wieder gerettet. So, war er eben. Man musste Notiz von ihm nehmen. Er konnte so gut erzählen.
Von der Musik, Santana, Eric Clapton und Cream, die er alle schon in Clubs in London gesehen hätte bevor sie Weltstars wurden. Von seinen Konzerten, die er damals organisiert hatte. Und eben besagte spätere weltbekannte Stars nach Österreich locken konnte. Von seiner Zeit in Paris als 18-jähriger Hotelpage im George Cinque. Von den Clubs in London. Wie er auf dem Salzburgring mal die Jim Russel Rennfahrerschule besuchte und spontan beschloss, dass Österreich so etwas auch brauchte. Die Walter Lechner Racing School war geboren. Er war der geborene Geschäftsmann, sah immer nur Möglichkeiten wo andere nur Stress ausmachten. Er konnte mit seinem Charme becircen.
„Wir müssen noch Mozart Kugeln besorgen!“ Ich dachte mir, wozu das denn? Das ist doch kitschig. Ein Österreicher bringt Mozartkugeln in so eine Männerdomäne wie ein FIA GT Fahrerlager von Monza. Die Souvenirs überreichte er mit einem Lächeln an die Pressedelegierte des Veranstalters zum Beispiel. Und ich musste einfach anerkennen, dass das schon Stil hatte und auch gut ankam.
Auf einem der Rückfahrten von Monza, gerne war es Mitternachts bis 3 Uhr morgens, bliesen wir also die kurvige Autobahn rauf von Trient bis zum Brenner. Die Tachonadel stand gerne südlich der 200. Walter war müde und ich sollte weiterfahren. Leider beschloss Walter direkt zu schlafen und die langen Gespräche endeten abrupt. Na toll, wie soll ich mich denn jetzt wach halten? Also fuhr ich auch mit 200 bis 220 über die leere, enge Autostrada A22. Walter ohne ein Auge zu öffnen ganz trocken: „Christoph, ich fürcht‘ mi, konnst etwas longsamor foahn?“
Fahren konnte Walter. Schließlich war er auf der Rundstrecke alles Mögliche gefahren bis hin zum Gruppe C Prototypen Porsche 962. Auch da erklärte er mir, wie er nach einem Hochgeschwindigkeitsunfall auf der Hunaudières Geraden bei der Arbeit der Streckenposten eingreifen musste. Diese versuchten die Trümmerteile des 962 von der Strecke zu räumen und stapelten sie an der Leitplanke. Walter, gerade erst aus dem Wrack geklettert, wusste, dass die Kameras auf die Unfallstelle gerichtet sein würden. Er drehte die abgerissene Kohlefaser-Front mit dem Camel-Sponsoring um. Die Kameras mussten doch das Logo sehen.
Dann kam der Saison-Auftakt in Bahrain 2005. Die Supercup Organisation sattelte kurzerhand das Rennen auf der arabischen Insel vor das eigentliche erste Rennen in Monza. Walter handelte erstmal die Kostenübernahme für die Transporte aus. Dann sah er die Möglichkeit, dass wir doch keinem unseren bisherigen Sponsoren das Bahrain Rennen verkauft hatten. Es zählte ja nicht zur Saison. Es waren nur noch 6 Wochen. „Host woas an Ostern vor?“ und schon saßen wir im Flieger nach Bahrain. Er kannte zu dem Zeitpunkt exakt zwei Menschen in Bahrain. Diese beiden besuchten wir und tingelten dann vormittags und nachmittags von Firma zu Firma. Zwischendurch musste ich auf dem Hotelbett die Sponsorpräsentationen überarbeiten, bei der Hotelrezeption ausdrucken und wir fuhren wieder hin. Nach fünf Tagen hatten wir die Sponsorfläche auf vier der fünf Autos für das Rennen verkauft!
Wir nahmen kurzerhand die gesamte Beklebefirma mit nach Bahrain. Wir hatten schließlich fünf brandneue 911 GT3 Cup Fahrzeuge komplett bunt zu folieren. Es waren 40 Grad. Walter hatte nie Berührungsängste mit fremden Kulturen. Ging in jedes arabische Restaurant, Geschäft oder Bazar. Im Teppichladen kam er mit dem Verkäufer ins Gespräch. Der war so beeindruckt von Walter und seinem Rennteam, dass er sagte: „If you get me into the paddock of the Formula One race, you can have my whole house.“ Walter nahm in wörtlich und es kreuzte ein 7,5-Tonner vor unseren Boxen auf. Die Rennstrecke von Bahrain war eines der modernen Tilkedroms. 155 Millionen Euro teuer und unsere Boxen wurden durch ungefähr vierzig riesige Perserteppiche in ein Beduinenzelt verwandelt. Unsere Rennwagen standen auf Perserteppichen. War das ein Spektakel. Alle kamen vorbei um Walter’s Coup zu sehen. (Im nächsten Jahr war das aus Feuerschutzgründen verboten worden.)
Mit allen Mitarbeitern der Beklebefirma waren wir 30 Leute und brauchten 6 Leihwagen. Die Rennstrecke lag schließlich im Süden der Insel, an der Grenze zum militärischen Sperrgebiet. Manama, die einzige Stadt lag im Norden. Wegen der Universität und der Rennstrecke wurde eine vierspurige Schnellstraße als Verbindung gebaut. Verkehr: absolut null. Anzahl der Kreisverkehre: um die 30. Der Wettbewerbsgedanke ist auch bei Rennmechanikern durchaus vorhanden. Wir bretterten also jeden Morgen um 7:30 Uhr von Manama runter zur Rennstrecke. Die weißen Tribünenanlage konnte man schon von der Ferne in der Wüste sehen. Ca. 800 Meter vorher musste man an einer Kreuzung (!) links abbiegen. Mit drei Abbiegespuren. Die Kreuzung war riesig. So groß wie ein amerikanischer Parkplatz. Abgesehen von Sandwüste gab es nur einen einsam stehenden McDonalds. Da konnte man locker Ideallinie mit 70 km/h abbiegen.
Das war meine Chance. Ich würde an dieser roten Ampel einfach nicht halten. Mit meinem Toyota Camry hatte ich ja keine Chance gegen den Chevrolet Pick-Up mit V8 von unserem Renningenieur. Wir rollten gleichauf auf die rote Ampel zu. Ich ließ ihn im Glauben, dass wir anhalten. Dann trat ich das Gaspedal durch, die Automatik schaltete hochnervös Gang für Gang runter. Vom vierten in den dritten, in den zweiten, und dann bekloppterweise auch in den ersten. Die Drehzahl jazzte in die Höhe und mein Schlussspurt endete mit einem kapitalen Motorschaden. Wir rollten 700 Meter vor dem Ziel aus.
Moch dir nichts draus. I hab scho amoi a Mietwagen in einem Fluss versenkt.
Walter Lechner zum Verfasser dieser Zeilen, als dieser einen Motorschaden bei einem Mietwagenrennen verursacht hatte.
Walter kam meistens erst eine Stunde später zur Rennstrecke. Ich musste ihm beichten und druckste herum: „wir haben jetzt nicht mehr 6 sondern nur noch 5 Mietwagen.“ Walter konterte, ob ich schon die Mietwagenfirma angemacht hätte, dass sie uns so g’schissene Autos gegeben hätten. Mit einem Schmunzeln fügte er an: „Moch dir nichts draus. I hab scho amoi a Mietwagen in einem Fluss versenkt.“ Wir mussten keinen Cent bezahlen. Was für ein cooler Chef.
In dem kleinen Königreich von Bahrain fühlte er sich wohl. Mit der Hilfe von Gerd Schmid hob er dort eine Rennserie aus der Taufe, die Carrera Cup Challenge Middle East. Nun war er auch noch Veranstalter. Zuhause in der Faistenau hatte er seine Skihütte. Es gab nicht wenige Tage im Winter, da bestellte er mich auf 16 Uhr auf die Skihütte, um mit ihm die nächste Saison durch zu organisieren. Motorsport sei ein Saisongeschäft, man bräuchte auch eine Einnahmequelle für den Winter. Und die Rennserie auf der arabischen Halbinsel bedeutete für ihn, dass er seine Belegschaft das komplette Jahr über halten konnte.
Letztendlich hat Walter sich sein Leben lang sein kleines Königreich aufgebaut. Und ich war gerne dort. Dort gab es immer Abenteuer, Spaß, viele Menschen und Musik. Ich habe so viel von Dir gelernt Walter.
Walter Lechner ist nach kurzer schwerer Krankheit in seiner Heimat, der Faistenau, am Dienstag, den 8. Dezember 2020 verstorben.Ich werde dich vermissen.